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Katharinenberg
Stell Dir vor, es ist März und Du bekommst Zwangsurlaub verordnet. Da Winterbergsteigen nicht zu Deinen Stärken gehört, bleibt also nur ein Ziel weit im Süden. Einen akzeptablen Kompromiß zwischen Entfernung, Wetter und Schwund in der Geldbörse bildet eine Pauschalreise nach Ägypten. Und wer dort die Halbinsel Sinai wählt, auf den warten einige
Zweitausender. Also per Last Minute auf nach Sharm El Sheik.
Einige Tage liege ich faul in der Sonne, schnorchle an den farbenprächtigen, wunderschönen Riffs und lasse mich in meinem All-inclusive-Hotel verwöhnen. Doch dann beginnt es in den Beinen zu jucken, ich muß in die Berge. Das ist leichter gesagt als getan. Busausflüge gibt es nur zum Mosesberg. Der steht bei mir aber erst an zweiter Stelle nach dem höchsten Ägyptens, dem Katharinenberg. Zwei Mietwagenfirmen lassen mich glattweg abblitzen, nachdem ich sie über das Ziel meiner Tour aufgeklärt habe. Mietwagen gibt es nur mit Fahrer und zu fürstlichen Preisen. Also wende ich mich an eines der vielen Taxis. Achmed, der Fahrer will mich für 400 ägyptische Pfund die jeweils 250 Kilometer hin und zurück bringen, einschließlich Wartezeit. Schnell sind wir uns einig. Ägyptenkenner hätten den Preis sicher noch um einiges heruntergehandelt, ich Trottel erkenne das erst später.
Start ist früh um vier am Hotel. Pünktlich steige ich in Achmeds Taxi und auf geht's. Doch nur ein paar Kilometer, dann verläßt er mitten in der Wüste die Straße und hält neben einem maueralten Kombi, dem zwei vermummte Gestalten entsteigen. Mein Herz rutscht in die Hose. Was will ich überhaupt hier?! Einer der Vermummten nimmt auf dem Fahrersitz Platz und Achmed erklärt mir durchs Seitenfenster, daß sein Bruder Nasser die weitere Tour übernimmt.
Ein schneller Start würgt jede Diskussion darüber ab. Nassers Englischkenntnisse sind noch um einiges miserabler als meine, so beschränkt sich unsere Unterhaltung auf einige Nettigkeiten, die der jeweils andere nicht versteht. Ich döse etwas bei der Fahrt durch die nächtliche Wüste, doch plötzlich schrecke ich hoch. Aufblendlicht, Licht aus, Warnblink an, das ganze mehrmals in unterschiedlicher Reihenfolge. Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Kurze Zeit später beginnt das ganze
erneut. Und nun erkenne auch ich die zwei Rücklichter fern am Horizont. Bis wir sie eingeholt haben, finden noch einige Lichtspiele statt. Als wir den Kleinbus überholen wollen, macht dieser Warnblink an und benötigt ab jetzt die ganze Straßenbreite schöne Schlangenlinien. Nach einer kleinen Ewigkeit läßt er uns vorbei und mit allem was blinkern kann, verabschieden sich die beiden voneinander. Nassers Gesicht blieb die ganze Zeit teilnahmslos, ich habe meinen ersten
Überholvorgang bei Nacht in der Wüste erlebt. Die Weiterfahrt verläuft ohne Zwischenfälle, sieht man davon ab, daß Nasser oft am Einnicken ist. Aber die Straße geht ja geradeaus, was soll man da auch ständig aufpassen. Die Militärposten lassen
uns unkontrolliert passieren und an einem schönen Morgen erreichen wir gegen 7 Uhr das Katharinenkloster. Ich muß jedoch
zu Sheikh Musa, der die Bergführer einteilt. Suche nach ihm und Vermittlung kosten bei Nasser weitere 50 Pfund. Doch dann bin ich bei dem Scheich. 120 Pfund für einen Guide, der nicht englisch spricht und Start in einer Stunde, das bietet er mir an. Ich steige wieder ins Taxi und nehme mir vor, den Berg allein zu besteigen (dies ist unerwünscht, da sich der Berg im Nationalpark befindet und die Beduinen mit Führungen dazuverdienen). Als Nasser davonfährt, kommt der Scheich mit langen Schritten hinterhergerannt. Ein sehenswerter Anblick! Der Preis bleibt, Start in zehn Minuten mit Raghab,
der Englisch spricht. Ich nehme an. Von nun an wird's problemlos, auf einem bequemen Weg wandern wir durchs Wadi Shrayi. Irgendwo habe ich gelesen, daß man sich einen älteren Führer nehmen soll, die gehen etwas langsamer als die jungen. Raghab, scheint mir, ist sehr jung. Erst als es steiler wird und ich stur mein Tempo gehe, wird auch er etwas langsamer. Nun plaudern wir, so gut es mein Englisch zuläßt und schon bald kommt die Gipfelkapelle des Gebel Katharina in Sicht. Nach drei
Stunden Aufstieg stehen wir am höchsten Punkt Ägyptens. Eine faszinierende, für mitteleuropäische Augen ungewohnte, Wüsten- und Gebirgslandschaft liegt zu unseren Füßen. Fleecepullover, Jacke und Stirnband habe ich nicht umsonst mit, es weht ein eisiger Wind. Ich erkunde die kleine Kapelle, in die man durch ein Loch im Dach gelangt. Hier kann man sogar nächtigen, wenn auch nicht gerade komfortabel. Eine halbe Stunde teilen wir uns den Gipfel, dann erscheint eine sechzehnköpfige Wandergruppe. Nach kurzem Plausch mit meinen Landsleuten wenden wir uns talwärts.
Raghab wählt zum Abstieg den Weg durch das Wadi el-Arbain. Durch sehenswerte, vom Wasser ausgewaschene Schluchten streben wir hinab. Letzte Rast ist an einer kleinen Lodge. Der Besitzer bietet uns eine Art Fladenbrot zur Stärkung an. Lächelnd würge ich das knochentrockene Zeug hinunter. Meinen Super-Power-Müsli-Riegeln stehen die beiden allerdings ähnlich skeptisch gegenüber. Als Raghab mir erzählt, daß die Wandergruppe vom Gipfel hier übernachtet, werde ich neugierig, bitte darum, mir die Lodge anschauen zu dürfen. Als ich sie betrete, klappt mein Kinn nach unten. Von wegen Lodge! Vier Steinwände, Lehmfußboden, Holzdach, das war's. Größer könnte der Gegensatz zu den Luxushotels unten am Strand nicht sein.
Mit gefüllten Wasserflaschen wandern wir weiter. Noch vor 15 Uhr sind wir zurück im Dorf St. Katharina. Nasser wartet schon auf mich und zurück geht es Richtung Sharm El Sheik.
März 2001
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